Wolfgang G. Müller:»Nike« (1994, 220 cm, Edelstahl)
Die »Nike« von Wolfgang G. Müller spiegelt eine der entscheidenden Grundbedingungen seiner Kunst wider (2003 verstorben): Die Beschäftigung mit griechischer Mythologie und Literatur. Sie gehört wie alle anderen ausgestellten Werke von ihm zu seinem Spätwerk, das in seinem Eppenhainer Atelier entstand – in kollegialer Atmosphäre mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und Bildhauer-Kollegin Jutta Scholz, die nun in Frankreich lebt und diese Skulptur als Dauerleihgabe der Stadt überlässt.
Frau Scholz hat in den letzten Lebensjahren des Künstlers häufig die Schleifarbeiten der Edelstahlskulpturen übernommen. Begeistert arbeitete Müller in diesem Material, nachdem er seine expressive Formensprache an vielen anderen Materialien erprobt hatte. Aber nicht mehr zu Ausstellungszwecken schuf er, sondern angesichts seiner schweren Krankheit in den letzten 10 Lebensjahren wollte er nur noch schöpferisch für sich selbst tätig sein.
Vom Material Edelstahl träumte er schon lange, da es ein leichter zu biegendes Material als z. B. Blech darstellte und damit körperlich nicht so anstrengend war. Das eigentlich tote Material Edelstahl erhält durch die Oberflächenbearbeitung Leben eingehaucht. Hier ist er noch ganz Schüler Maillols, den er nach seiner Ausbildung am Frankfurter Städel als Schüler im südfranzösischen Banyuls aufsuchte. Maillol hatte wie Müller ein hohes Verantwortungsgefühl gegenüber dem Material. Seine Skulpturen zeigen oft die Spuren der Bearbeitung.
Unsere Nike ruft Assoziationen zu ihrer berühmten Vorgängerin aus dem Louvre hervor: die Nike von Samothrake, die in einer Landeposition befindlich mit offenen Flügeln leicht nach vorne gebeugt ist und wie eine Galionsfigur auf dem Bug eines Schiffes steht. Die Siegesgöttin Viktoria auf der Berliner Siegessäule ist eine bekannte Nachfahrin von ihr aus dem späten 19. Jahrhundert.
Expressive Spannungen und Gebärden scheinen hier durch, die Müller in den 1960er Jahren an seinen menschlichen Figuren und Gruppen entwickelt hatte. Einerseits haftet seine Nike schwer am Boden, andererseits greift sie expansiv in den Raum aus. So wird sie trotz aller Abstraktion zum Ausdrucksträger des Menschlichen bzw. der Göttin, die den Sieg, aber auch den Frieden bringt.