Frederik Egold: Stier und Elefantenmensch, 2002/2001
Neben Stephan Müller, der seit Beginn des Ausstellungsprojektes Werke in der Auenkunst zeigt, können wir seit diesem Jahr mit dem viel zu früh verstorbenen Künstler Frederik Egold einen zweiten Schüler des Bildhauers und Malers Dieter-Josef Bauer aus der Werkstattgalerie 37 der Stiftung Blindenanstalt in Frankfurt am Main präsentieren.
Dort fand Egold nach seinem Schulabschluss an der Blindenschule in Friedberg professionelle Aufnahme. Schon als kleines Kind konstruierte Egold aus Blech- und Eisenfundstücken kleine plastische Arbeiten. Seine schöpferische Kraft riss nicht ab, als er mit 10 Jahren erblindete und zudem durch eine Gehirnschwäche unter Sprachstörungen und Epilepsie litt. Im Gegenteil: Sein umfangreiches Oeuvre – den Nachlass hat seine Familie der Blindenanstalt in Friedberg vermacht – zeugt von einem fast obsessiven Gestaltungswillen. Die Anstöße seiner Werke kommen aus dem eigenen Innersten – jenseits eines intellektuell verbildeten Kulturbetriebs und stehen damit für eine freie Geisteshaltung in der Kunst.
Sie sind reinste „l’art pour l’art“-Schöpfungen und ziehen ihre Qualität aus dem geheimnisvollen Dialog zwischen Werk und Rezipient. Treten wir in diesen Dialog ein und dies ganz haptisch: Ein wesentliches stilistisches Merkmal seiner Skulpturen ist die „Durchdringung der Körper mit Raum“ – ein Gestaltungstypus, den Alexander Archipenko als Gegensatz zu den statuarischen Figuren des 19. Jahrhunderts in die Bildhauerei Anfang des 20. Jahrhunderts einführte und seitdem die Moderne beeinflusst.
Egolds Hohlräume sind gleichwertige Form, ziehen den Umraum an sich und nehmen ihn in sich auf. Wir können hineingreifen und „begreifen“:
– U. a. wie Egold durch hochpolierte Flächen einerseits sowie taktile Erhebungen andererseits den Speckstein in einen fühlbaren Spannungszustand versetzt.
– Zudem wie er dem weichen warmen Mineral Steatit durch seine feinfühlige Bearbeitung die Sensibilität entlockt, die in ihm selbst innewohnte.
Egold hörte, fühlte und tastete sich regelrecht in das Mineral ein: Langsam und gleichmäßig bewegten sich im schöpferischen Akt seine Handflächen über den rohen, unfertigen Stein. Tastend erkannte er Größe und Umfang, Form und Gestalt. Mit einer kleinen Modellierfeile markierte er erste Konturen und leitete damit den Prozess des Werdens und der schöpferischen Verwandlung ein.
Seine intensive ästhetische Aktivität eröffnete dem Künstler die Möglichkeit, seine wahrnehmbare und erfassbare Welt widerzuspiegeln – durch reduzierte Motive einer fast archaisch-mythologisch anmutenden Bilderwelt. In ihr führt Egold Traum und Wirklichkeit, Abstraktion und Gegenständlichkeit zur Synthese und tritt in eine visuelle Kommunikation mit seiner Umwelt.
Die seinem Werk typischen Öffnungen treten dabei immer wieder gestalterisch als Augensymbole in Erscheinung. Eine Art notwendige „Katharsis“ für den Künstler, dessen Wahrnehmung der sichtbaren Welt durch seine Blindheit eingeschränkt war. Die Augen dringen in den Stein hinein, teilweise durch ihn hindurch. Das sie umgebende Licht durchflutet sie. Jenes Licht, das aus der Erinnerung des Künstlers entstand und im haptischen Augenblick von ihm plastisch eingefangen wurde. Derart macht Egolds visionäre Formensprache das Unsichtbare sichtbar und wir erkennen: das Surreale ist Teil unserer Wirklichkeit!