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Gabriele von Lutzau: Wächter

Gabriele von Lutzau: Wächter, Cortenstahl, 1998

Wie Titus Lerner ein Bildthema hat, so gibt es für Gabriele von Lutzau nur eine Botschaft ihrer Kunst: Leben und Überleben – biographisch klar nachvollziehbar als „Engel von Mogadischu“ des Deutschen Herbstes 1977.

Mit 23 Jahren war Gabriele, damals noch Dillmann, als Stewardess eine von 87 Geiseln der von palästinensischen Terroristen entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“. Todesangst und Erschöpfung – Mut und Menschlichkeit; vor allem aber eine Last fürs Leben, aufgeladen in wenigen Tagen zwischen Leben und Tod: Nichts mehr konnte danach wie vorher sein.

Aus der Flugbegleiterin wurde eine Holzbildhauerin, die sich in den Odenwald zurückzog und seitdem in der Anonymität ihr geschenktes Leben täglich neu genießt und Dank ihrer Kunst leben kann.

Wenn Worte versagen: Vor dem Grauen, dem Terror, der Gewalt, kann Kunst eine Sprache finden und lebensbejahend wirken. Über zehn Jahre suchte von Lutzau Workshops und Symposien bei Walther Piesch auf und widmet sich seitdem der Schaffung ihrer „Privatarmee“ als „Seelenwächter“ und Botschafter des Mottos „Leben heißt Überleben“: Darunter u. a. Flügel, Ikarus-Figuren und Fiederungen aus vom Wind abgerissenen Ästen, verdreht gewachsenen Bäumen oder Wurzeln und Fundstücken, des weiteren Lebenszeichen aus herausgerissenen Thujen, die einen Kopfstand machen und vom Totenbaum zum Lebenszeichen werden sowie „Herzzeitlose“ aus ausgemusterten Robinien und eben Wächter wie der unsrige.

Für die Ewigkeit in Cortenstahl gegossen, doch man sieht ihm noch seine ursprüngliche Holz-Natur an. Von Lutzau hat dem waldwirtschaftlichen uninteressanten Zwieselbaum mit zwei Kronenästen ein neues Leben eingehaucht. Mit der Kettensäge nimmt die Künstlerin den Dialog mit dem Holz auf, lässt es eine Metamorphose durchlaufen, touchiert es vorsichtig und arbeitet mit der Spitze der Säge Flügel heraus, die durch den Zwieselwuchs schon grobe Formen vorgaben. Selbst in gegossener Form, sei es in Cortenstahl oder in Bronze, sind die Maserungen des Holzes haptisch spürbar und visuell erlebbar. Geschmeidig windet sich der Körper in seinem natürlichen Wuchs gen geöffnete Flügel und Himmel, vermittelt ein Gefühl der Leichtigkeit und des möglichen Abhebens von irdischen Fesseln. Fliegen / Abheben, wenn es einem auf der Erde reicht – bleibt ein Traum der Künstlerin.

Sie reduziert ihre Wächterfiguren auf das Wesentliche und verzichtet bewusst auf die Darstellung von Köpfen – für sie Sitz des Geistes, der Seele und des Denkvermögens und von daher zu komplex, um ihn auf eine bloße Hülle zu reduzieren. Sie selbst schreibt: „Ich mache keine Männer oder Frauen. Ich mache körperliche Präsenzen.“

Unseren Wächter gibt es auch in Bronze. Er spiegelt damit ein weiteres Kennzeichen ihrer Kunst: von Lutzau schwärzt ihre Figuren meist mit dem Flammenwerfer. Ihre Figuren sind ständig im Kampf, sollen siegen, auch wenn sie nach geschlagener Schlacht die Spuren von Feuer und Verletzung tragen.

Im Wächter steckt zudem viel von Gabriele von Lutzaus Wesenseigenschaften: Sie selbst ist eine Kämpferin, trotzt den Wirrungen des Lebens, bleibt energisch, warmherzig und stets voller Selbstironie. Sie verfolgt mit allen ihren Werken das Ziel: „Die Macht der Leichtigkeit, der Liebe und der Lust am Leben gegen die Macht des Terrors, des Todes und der Fesseln der Welt“ zu stellen.

Dies tat und tut sie sehr erfolgreich in der ganzen Welt, u. a. mit der berühmten Doppelausstellung in Berlin und Tel Aviv „Mit Kunst (über-)leben“. Ihre engelsgleichen Wächter-Figuren „lernten das Schweben“, „sie lernte das Leben“, beide haben „langsam einander erkannt“ – um abgewandelt mit Rainer Maria Rilkes Worten zu enden. Derart sind sie in der Lage auch unsere Beschützer zu werden und uns unsere Ängste – egal welcher Natur zu nehmen.

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